Ein Interview mit Mathias Grellert, Senior Qualitätsmanager der Gesellschaft für Qualitätsprüfung mbH und stellvertretender Obmann im DIN Ausschuss in Berlin.
Können Sie uns einen Einblick in Ihren beruflichen Werdegang geben?
Der Start meiner beruflichen Laufbahn war eine Ausbildung zum Bankkaufmann bei M.M.Warburg & CO. Hier konnte ich in der Ausbildung alle Facetten des Bankgeschäfts, wie bspw. das Wechselgeschäft, bestens kennenlernen. Da ich aber in der Ausbildung gegenüber den Auszubildenden der Sparkassen, Volksbank oder Großbanken kaum eigene Beratungspraxis sammeln konnte, entschloss ich mich, zunächst Erfahrungen in der Beratung von Kunden sammeln.
Nach einer Einführung in den Service verbrachte ich insgesamt 9 Jahre für M.M.Warburg und die Credit Suisse in Hamburg in der Beratung von vermögenden Kunden tätig und habe währenddessen zusätzlich ein Studium an der FernUniversität in Hagen in Betriebs- und Volkswirtschaftslehre abgeschlossen.
Was waren Ihre Beratungsschwerpunkte bzw. Ihre Themen?
Ich war als Kundenberater zentraler Ansprechpartner im Bereich „Analyse und Strukturierung der Vermögenssituation“. Dies umfasste – in Zusammenarbeit mit Wertpapierspezialisten – eine umfassende Begleitung des Kunden in Vermögensfragen (bspw. Immobilienanlage, Darlehen).
Nebenbei wirkte ich an der Weiterentwicklung von Beratungsprozessen mit. Das Beratungsspektrum war für mich allerdings zu stark auf das Vermögen konzentriert, während zentrale Bereiche des Kunden, wie bspw. die Haftpflichtversicherung als Basisschutz, nicht betrachtet wurden.
Um mein strukturiertes Vorgehen und meine analytischen Fähigkeiten weiterzuentwickeln, habe ich einer Anstellung in einer Bank den Rücken gekehrt. Heute analysiere ich mit meinem Beratungshintergrund seit fast 8 Jahren die Beratungsprozesse vieler Finanzdienstleister in Deutschland.
Auf Basis dieser Untersuchungen habe ich Drehbücher als Grundlage für die Entwicklung von ganzheitlichen Beratungsprozessen in den Bereichen „Privatkundengeschäft“, „Baufinanzierung“, „Geldanlage“ und „Private Banking“ mit entwickelt.
Welche Motivation hatten Sie, im DIN-Ausschuss für die Finanzanalyse privater Haushalte mitzuwirken?
Schon seit fast 20 Jahren beschäftige ich mich, aufgrund meiner starken Neigung zur strukturierten Beratung und Analyse von Kundensituationen, täglich mit den Herausforderungen der Kundenberatung.
Gerade meine Zeit in der Beratung von vermögenden Kunden, aber auch die Ergebnisse aus der Analyse der Beratungsprozesse verschiedener Finanzdienstleister, haben mich zu der Erkenntnis geführt, dass selbst ein großes Vermögen nicht davor schützt, dass man sich mit existentiellen Finanzrisiken auseinandersetzt, da diese schnell den Wert eines sechsstelligen Depots übersteigen können.
Mir war schon als Berater wichtig, die Kunden durch verständliche Informationen und dem Aufzeigen der Möglichkeiten, auch bei komplexeren Themenstellungen selbst in die Lage zu versetzen, sich für oder gegen ein Risiko zu entscheiden.
Obwohl bereits viele Finanzdienstleister eine ganzheitliche Beratung eingeführt haben, scheitern noch immer zu viele daran, aus der Masse der Kundeninformationen ein nachvollziehbares Lösungskonzept für den Kunden zu entwickeln. Die Konsequenz ist daher häufig, dass die Berater sich trotz einer ganzheitlichen Bedarfsanalyse wieder auf wenige und einfache Produkte (wie bspw. das Bausparen) oder auf Aktionswochen bzw. Kampagnen konzentrieren.
Warum halten Sie eine solche Vorgabe bzw. Standardisierung für sinnvoll?
Schon in meiner eigenen Beratungszeit waren der Umfang der Analyse, aber auch die Qualität der Beratung sehr häufig von der Fähigkeit der Berater abhängig. Die Finanzdienstleister machten Vorgaben hinsichtlich der anzubietenden Produkte und weniger zur richtigen Ermittlung des Kundenbedarfs bzw. zur kundenorientierten Herleitung der Lösung.
Dies hat zu einem massiven Vertrauensverlust gerade in den Filialbanken geführt, da der Kunde sein Vertrauen nicht durch eine qualitative Beratungsleistung bestätigt bekommt. Für ihn sind also der Mehrwert und auch der Mehrpreis einer Beratung um die Ecke gegenüber Onlineanbietern immer weniger spürbar. Bei der Herleitung des Kundenbedarfs setzt genau der DIN-Ausschuss bei der Finanzanalyse als Ausgangspunkt für die Beratung ein.
Ziel der DIN-Norm ist es, durch eine Standardisierung der Finanzanalyse und die einheitliche Darstellung der möglichen Handlungsfelder nach Wichtigkeit und individuellem Bedarf, den Kunden in die Lage zu versetzen, sich unabhängig von irgendwelchen Aktionswochen (Bausparen, Weltsparwoche, Kfz-Versicherungswochen o.ä.) für oder gegen ein Absicherungs- oder Vorsorgerisiko entscheiden zu können.
Während also die meisten Finanzdienstleister auf die Herausforderungen mit digitalen Prozessen, Kostensenkungsprogrammen (Filialschließungen o.ä.) oder dem fokussierten Vertrieb von Produkten mit höherer Provision geantwortet haben, ist es das erklärte Ziel der DIN-Norm, durch klare Orientierungshilfen und Transparenz bei der Ermittlung des individuellen Kundenbedarfs, die Beratungsqualität und damit letztendlich die Kundenbedürfnisse zu befriedigen.
Auch in den Branchen, in denen Anbieter vor Ort mit digitalen Anbietern konkurrieren, ist allein eine Reduktion der Filialen keine Lösung.
Was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Erkenntnisse bzw. Regeln dieses DIN-Standards?
Die DIN-Norm beschäftigt sich zunächst erstmal „nur“ mit der Finanzanalyse, während die Anforderungen an die Produktberatung noch außen vor bleiben.
Die Analyse der Kundensituation und die nachvollziehbare Herleitung des Kundenbedarfs bilden die Grundlage für die Festlegung der „richtigen“ Handlungsfelder. Diese klare Priorisierung nach Wichtigkeit – also Haftpflicht vor Berufsunfähigkeit vor Altersvorsorge – sowie die Ermittlung des individuellen quantitativen Bedarfs ist essentiell, um mit dem Kunden vor dem Hintergrund seines begrenzten Haushaltsbudgets nicht nur die richtigen Handlungsfelder, sondern auch die richtige Reihenfolge beim Fahrplan abzustimmen.
Bei der DIN-Norm geht es also – losgelöst von einzelnen Produkten – darum, die Kunden regelmäßig über die relevanten Handlungsfelder und deren Wichtigkeit, aus Sicht der DIN-Norm, zu informieren.
Nämlich erst wenn der Kunde versteht, welche Themen überhaupt relevant und in welchem quantitativen Umfang bedeutsam sein können und es dabei egal ist, ob er die Finanzanalyse selbst, bei Makler A oder Bank B gemacht hat, kann die gesamte Branche das Vertrauen zurückgewinnen.
Der aktuelle Vertrauensverlust führt nämlich in vielen Fällen dazu, dass Kunden sich gegen den Abschluss von Vorsorge- und Absicherungslösungen entscheiden, was allerdings vor den aktuellen Herausforderungen u.a. bei den Themen Altersvorsorge und Pflege, keine sinnvolle Lösung ist.
Deshalb hat die DIN-Norm auch Themen wie die Haftpflichtversicherung an zentraler Stelle berücksichtigt, da beispielsweise nur 85% der Haushalte diese Versicherung abgeschlossen haben, obwohl sie unstrittig elementar ist. Dabei ist sie so wichtig, da es nicht nur um die Absicherung von Schäden Dritter, sondern auch um den Schutz der eigenen Familie vor einer Verletzung von Seiten Dritter (Ausfalldeckung), die wiederum über keine Haftpflichtversicherung verfügen.
Welche Herausforderungen sehen Sie für die Finanzdienstleister im Rahmen der Umsetzung?
Da die DIN-Norm 40 Handlungsfelder definiert, die nach Wichtigkeit priorisiert werden und bei denen ein Soll-Ist-Abgleich stattfindet, wird bei vielen Finanzdienstleistern die Frage stehen, ob eine 1:1-Umsetzung sinnvoll ist oder ob man sich nur auf die wichtigsten Themen des Kunden konzentriert.
Gerade der Abfrageumfang der vorhandenen Produkte kann dazu führen, dass der Berater mehr mit dem Finanzordner des Kunden beschäftigt ist, als sich mit dem Kunden zu unterhalten.
Hier empfiehlt sich, mit wenigen Fragen den Bedarf des Kunden im ersten Schritt oberflächlich zu ermitteln, damit dieser über seinen Finanz-Fahrplan entscheiden kann. In einer Detailanalyse wird dann der konkrete Bedarf ermittelt und eine entsprechende Produktberatung angeschlossen.
Zentrale Herausforderung wird sein, wie die Finanzdienstleister sicherstellen können, dass alle Berater die DIN-Norm als Grundlage für die Beratung akzeptieren und den Kunden wirklich in die Lage versetzen (können), eine Entscheidung über seine Finanzen bewusst treffen zu können.
Gibt es Entwicklungen, die Sie auf Basis dessen erwarten (Stichwort: mehr digitale Beratungsprozesse)?
Zwar ist für die Umsetzung nicht per-se ein digitaler Beratungsprozess zwingend, doch ist bei einer vollständigen Umsetzung der Norm der Rechenaufwand schon sehr hoch, so dass natürlich auch digitale Beratungsprozesse eine größere Rolle spielen werden.
Auch wird es sicher verschiedene digitale Umsetzungsformen geben müssen, da eine 1:1-Umsetzung als App für Kunden, um diese mit wenigen Klicks zumindest für die Grundlagen zu sensibilisieren, so nicht funktionieren wird, wenn er erst einmal seinen Finanzordner erfassen muss.
Welche Dienstleistungen bietet die Gesellschaft für Qualitätsprüfung im Zuge dessen an bzw. welche Angebote haben Sie für interessierte Banken (Stichwort: Status-quo bzw. Zertifizierung)?
Da nur einige der großen Marktteilnehmer, wie die Allianz, Commerzbank, Deutsche Bank und Zurich Versicherung an der Entwicklung der DIN-Norm aktiv mitarbeiten, ist für die Mehrheit der Finanzdienstleister natürlich noch nicht direkt absehbar, ob bzw. welche Änderungen beim Beratungsprozess notwendig sein werden.
Hier können wir auf Basis der DIN SPEC 77222 und den Anforderungen der DIN-Norm in 1 bis 2 Tagen gemeinsam mit den Finanzdienstleistern prüfen, inwieweit die Beratungsprozesse schon jetzt der DIN SPEC bzw. DIN-Norm entsprechen bzw. wo Handlungsfelder bestehen.
Auf der Basis dieser Status-quo-Analyse kann der Finanzdienstleister dann entscheiden, welche Änderungen er vornehmen möchte bzw. muss.
Daneben bietet die Gesellschaft für Qualitätsprüfung aber auch für die Finanzdienstleister, die die wesentlichen Anforderungen der DIN SPEC bzw. der späteren DIN-Norm schon umsetzen, eine Zertifizierung der Beratungsprozesse in der Finanzanalyse an.
Diese ist gerade für die Finanzdienstleister sinnvoll, die bereits heute die Notwendigkeit von Standards und die grundlegenden Anforderungen der DIN SPEC bzw. DIN-Norm – als Selbstverständnis -verinnerlicht haben.
Wie fällt Ihr Ausblick aus, nachdem die DIN-Norm veröffentlicht sein wird? Welche (Mindest-) Erwartungshaltung haben Sie?
Gerade durch die Teilnahme von 2 Großbanken und 2 großen Versicherern sowie Vermittlern, wie OVB oder Formaxx, vereint der aktuelle DIN-Ausschuss schon einen signifikanten Anteil der Marktteilnehmer, so dass mit einer schnellen Sogbewegung auf die anderen Marktteilnehmer zu rechnen ist.
Viele Finanzdienstleister werden jedoch erst mit der Veröffentlichung des Entwurfs bzw. der finalen Verabschiedung mit einer Überprüfung der Beratungsprozesse und Anpassung starten.
Diese kann dann gerade bei größeren Finanzdienstleistern bis zu einem Jahr dauern, wenn man berücksichtigt, dass auch die Mitarbeiterschaft geschult werden muss.
Allerdings bietet sich durch die DIN-Norm der Finanzbranche eine echte Möglichkeit, neben Filialschließungen, Reduktion der Mitarbeiter oder Erhöhung der Kontoführungspreise – durch ein unabhängig entwickeltes Regelwerk – Vertrauen in der Bevölkerung aufzubauen und steigende Erträge im Einklang mit den Interessen des Kunden zu erwirtschaften.
Denn auch in Zukunft wird bei vielen wichtigen Themen, die sich nicht durch Internetsuchmaschinen leicht lösen lassen, der Berater vor Ort der richtige Ansprechpartner bleiben.
Wie sieht der weitere Zeitplan im Zuge der Entwicklung der DIN-Norm aus? Bis wann können wir mit der Norm rechnen?
Ich gehe aktuell davon aus, dass ein erster Entwurf zum Ende des 2. Quartals bzw. im Laufe des 3. Quartals verabschiedet werden sollte. Dieser Entwurf kann dann von allen Interessierten 4 Monate lang kommentiert werden. Im Anschluss daran wird innerhalb von 3 Monaten über die Stellungnahmen beraten werden, bevor die dann finale DIN-Norm im 1. Halbjahr 2018 veröffentlicht werden soll.